21. - 27. September 2025:
Alte und neue Mythen und ihre Entstehung
Kann der Mensch ohne Mythen leben?
Der 6jährige Heinrich Schliemann erhielt 1828 als Weihnachtsgeschenk "Die Weltgeschichte für Kinder", aus der ihm der Vater vorlas. Der Vater sah in Homers Erzählung einen literarischen Mythos. Das Kind nahm die Texte und Illustrationen als historische Realität. Sein Lebensmotiv war gegeben. Die Folge kennen wir.
Was sind Mythen? Wahrbilder? Urbilder? Spirituell Geschautes? Erfindungen zur religiösen und sozialen Disziplinierung? Menschliche Schöpfungen einer anthropomorphen Transzendenz? Phänomene der Tiefenpsychologie? Überhöhung öder Alltäglichkeit?
In Thomas Manns Rede zu Sigmund Freuds 80. Geburtstag im Jahre 1936 spricht der Autor über seinen eigenen "Weg vom bürgerlich-individuellen zum mythisch-typischen“ Schriftsteller. Er gibt in diesem Zusammenhang das Bild: "Tiefe (hat) auch zeitlichen Sinn: Die Urgründe der Menschenseele sind zugleich auch Urzeit, jene Brunnentiefe der Zeiten, wo der Mythus zu Hause ist und die Urnormen, Urformen des Lebens gründet." Das deutet auf eine mythische Kindheit der Menschheit hin, wie es eine Kindheit der individuellen Biografie gibt. Ist frühzeitliches Bewusstsein mythisches Bewusstsein?
Seit der Zeit um 3000 vor unserer Zeitrechnung gibt es aufgeschriebene Mythen. Davor sicherlich mündlich tradierte. Mythen scheinen weltweit immer wieder ähnliche Bilder, Narrative aufzuweisen, die regional und zeitlich verschiedene Bekleidungen tragen. Beispielsweise die Mythen der Erderschaffung. Jakob Burckhardt bestätigt dazu, dass der "Mythos die ideale Lebensgrundlage" von Menschen war.
Der große Kenner Karl Kerényi ist überzeugt: "Überindividuell zu sein und eine ergreifende, die Seele mit Bildern füllende Macht auf den Menschen auszuüben, ist unerlässlich, um Gegenstand der Mythologie zu sein. Jene Bilder sind der Stoff der Mythologie, wie die Töne der Stoff der Musik sind."
Wegweiser in der Erforschung der Mythen sind die Arbeiten von Sigmund Freud, C. G. Jung, Joseph Campbell, Karl Kerényi, Roland Barthes und André Jolles. Wir werden sie zu Hilfe nehmen.
Die frühzeitliche Mythologie der Gilgamesch-Zeit, die griechisch-römische Mythologie und das christliche Mittelalter, sowie Ausblicke auf außereuropäische Mythen werden uns zuerst beschäftigen.
Welche Mythentheorien geben Antworten auf die Art ihrer Entstehung?
Dann stellen wir uns der Herausforderung, über moderne Mythen nachzudenken, zum Beispiel über den Mythos des Staates, den Mythen des Alltags, den Mythos der Massenmedien, des Sports, den Mythos Wachstum. Aktuell sind KI und Krieg dringlich zu bedenken.
Durch welche Mechanismen und Strategien werden Mythen unserer Gegenwart manipulativ in den Dienst politischer und wirtschaftlicher Macht gestellt?
Hans-Joachim Mattke im Juli 2024
Literaturempfehlungen:
Thomas Mann, Freud und die Zukunft, in: Sigmund Freud, Abriss der Psychoanalyse, Fischer TB, 1971, Nachwort, S. 133-151
Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen, 2 Bände, dtvTB 1345/1346
C.G. Jung und Karl Kerényi, Einführung in das Wesen der Mythologie, Rhein-Verlag 1951
Roland Barthes, Mythen des Alltags, Suhrkamp Edition 2024
André Jolles, Einfache Formen, Niemeyer Verlag, 1999, S. 91-125
Texte zur modernen Mythentheorie, Hrsg., W. Barner/Anke Detken, Reclam UB 17642, 2003
der referent
Hans-Joachim Mattke ist 1944 in Breslau geboren. Seine Kindheit und Jugend hat er in Stuttgart verbracht. Er studierte Germanistik, Romanistik und Philosophie in Tübingen. Es folgte ein zusätzliches Studium der Theaterwissenschaften und Regie in Wien. Viele Jahre lehrte er an Lehrerseminaren in Deutschland und USA und gab Unterricht an gymnasialer Oberstufe in Stuttgart in Literatur, Kunstgeschichte, Drama und Theater sowie über 20 Jahre hinweg Literaturkurse an Summer Colleges in USA. Über Jahrzehnte reiste Mattke immer wieder nach New York, Washington und Hawaii als Berater im Bereich „teaching quality“. Hans-Joachim Mattke ist Autor des Stücks: „John Cage und Mark Rothko – Warum haben Leute mehr Angst vor neuen Ideen und nicht vor alten“ (Uraufführung am 24. 11. 2012 im Theaterhaus in Stuttgart). Er realisierte ein Theater mit Jugendlichen, Crossover mit Musikern und Schauspielern, Profis und Amateuren: Strawinskys „Die Geschichte des Soldaten“ in Stuttgart und Salzburg. Zuletzt hat er gemeinsam mit dem Pianisten Wenzel Gummer das szenische Konzert „Doktor Faustus – zwischen Beethoven und Schönberg“ kreiert, mit großem Erfolg in München uraufgeführt wurde. Weitere Aufführungen folgten 2022 und 2023.
Anmeldung zur Denkwoche
preise
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Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer.
Beinhaltet 6 Übernachtungen, ein opulentes Frühstück, ein 2 gängiges Mittagsmenu und ein 3 gängiges Abendmenu, Pausengetränke und Obst zu jeder Zeit. Getränke sind nicht enthalten und werden gesondert abgerechnet.
Für Ihr Wohlbefinden fühlt sich die gesamte Équipe d’Orion zuständig. Gerne stellen wir Ihnen eine Weiterbildungs-Bescheinigung für Ihren Arbeitgeber oder für Ihre Steuererklärung aus. Bitte sprechen Sie uns dazu an.